Touch, eines der tollsten Labels dieses Planeten, scheint sich seit 5 Jahren in einer permanenten Feierlaune zu befinden; damals war Anlass das 25-jährige Labeljubiläum, was mit einem feinen Festival in York gefeiert wurde. Seitdem fand sich immer wieder eine runde oder semi-runde Zahl, die Grund genug war, ein Labelfestival an irgendeinem Flecken der Erde zu veranstalten. Offensichtlich wollen Jon Wozencroft und Mike Harding, Touch-Macher der ersten Stunde, jeden Tag begehen als sei es der letzte – was natürlich die einzige vernünftige Art ist zu leben. Oder sie wundern sich einfach nur darüber, dass Touch immer noch existiert trotz der rapide verschlechterten Lage auf dem Markt für unabhängige Musikproduktionen. Seit einigen Wochen nun wird die Zahl 30 gefeiert, unter anderem in Form einer Tournee durch Europa, stets mit wechselndem Line-up. In Köln wird Mike Harding vorstellig, um ein wenig über die aktuelle Situation des Labels zu plaudern, woraufhin Label-Neuzugang Achim Mohné sowie der Schwede BJ Nilsen Livesets zum besten geben. Vielleicht liegt es am Wochentag, dass sich an diesem Montag nur etwa 50 Kölner im Studio 672 einfinden.
Mike Harding erweist sich als das Gegenstück zu Jan Wozencroft, dessen Welt- und Wortgewandheit ich schon einige Male erleben dufte. Harding hingegen gehört zu der Spezies von Briten, die immer etwas hooliganhaftes an sich hat, und berichtet vornehmlich von praktischen Schwierigkeiten beim Versuch, die Erwartungen von Künstlern und Konsumenten zur Deckung zu bringen. Während Musiker zunehmend Gefallen an den Möglichkeiten von hochauflösenden Medien und Multikanalaufnahmen finden, tendiert der Markt noch immer zu komprimierten Formaten. Im Zwischenbereich sind Vinyl und Kassette angesiedelt, für welche sich der Markt positiv entwickelt aber aller Voraussicht nach auf recht niedrigem Level verbleiben wird. Touch zeigt sich durchaus offen gegenüber allen verfügbaren Formatoptionen: Vinyl, CD, Tape, MP3 und FLAC sind im Programm. Hinzu kommen spinnerte Projekte wie der Wachszylinder, auf dem Michael Esposito & CM von Hausswolff vor einigen Monaten ihr neuestes Werk veröffentlichten. Für die Zukunft sieht Harding ein verstärktes Interesse an Medien, die eine weit höhere Auflösung als die CD bieten, wie USB-Sticks.
Achim Mohnés präsentiert sich in seinem Konzert als dem Typus „Platten-Spieler“ zugehörig in bester Tradition von Christian Marclay, Philip Jeck und Otomo Yoshihide. Aber anders als diese arbeitet Mohné bei diesem Konzert nicht mit handelsüblichen Vinyl, sondern mit Schallplatten, die er für diesen Zweck selbst erstellt hat. Offensichtlich hat er mit Leerrillen bestückte Platten mechanisch bearbeitet, um ein Sammelsurium an Störgeräuschen zu erzeugen. Mit Hilfe von vier Decks produziert er auf diese Weise eine köstliche Clicks+Cuts-Musik. Konzeptuell erinnert das stark an Toshimaru Nakamuras no-input mixing board und Ovals Arbeit mit defekten CDs. Wie immer entscheidet das Ergebnis über die Tragfähigkeit des Ansatzes; Mohnés Sound ist über jeden Zweifel erhaben.
BJ Nilsen, der schon seit vielen Jahren Platten auf Touch veröffentlicht und nebenher an Projekten z.B. mit Hildur Guðnadóttir und Stilluppsteypa teilnimmt, spielt ein abgeklärtes Konzert. Sein Sound, den man wohl als Tectonic Ambient bezeichnen könnte, lebt von der Faszination aber auch Verunsicherung angesichts (erdgeschichtlicher?) Prozesse, die von menschlicher Vorstellungskraft nicht erfasst werden können. Ganz großes Kino, zweifelsohne.
